Zukunftsfähige Kleingartenkultur

Das Wesen des Kleingartens besteht im kulturellen Wert des Gärtnerns — in der Tradition des Anbaus von Obst, Blumen, Kräutern und Gemüse. Nur für oberflächliche Beobachter erscheint er als das überlebte Relikt historischer Versorgungsengpässe und Wohnungsnot, als Fluchtburg aus den kriegsgefährdeten oder kriegsgeschädigten Stadtzentren oder auch nur aus den Mietshäusern. Eine solche Betrachtung übersieht, dass der Kleingarten in seiner Geschichte stets mehr als nur Kompensation in diversen Mangelsituationen zu bieten hatte.

Kleingärten haben in Berlin eine über 150-jährige kulturelle Tradition. 1833 entstanden die ersten „Armengärten“, und 1862 gründeten sich die ersten Gärten auf Pachtbasis. Heute locken 954 Kleingartenanlagen die Berliner ins Grüne. Über 76 000 Kleingärten stellen für die Bürger ein wesentliches Element der Freizeitgestaltung dar. Zugleich sind die 3160 Hektar der Kleingärten ein unverzichtbarer Bestandteil des Grün- und Freiflächensystems der Stadt mit wertvollem Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen.

Jede Kleingartenanlage hat ihr eigenes Flair, ist eine eigene Welt mit einer eigenen Kultur. Notwendige Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften oder Reglementierungen haben nach dem Willen der Kleingärtner und ihrer Verbände nicht zur Uniformiertheit der Kleingärten geführt. Im Gegenteil: Gerade die nicht homogene Gartenkultur macht das Berliner Kleingartenwesen interessant und zukunftsfähig.
In den bestellten und gestatteten Gärten hat sich ein unersetzliches originäres Stück Kultur entwickelt. Hier werden im direkten Kontakt zum Boden, zur Pflanze und zum Material gärtnerische und handwerkliche Fertigkeiten entwickelt, gepflegt und nachbarschaftlich vermittelt. Die Authentizität der lebenden Kleingartentradition ist nicht durch Medien und Museen zu ersetzen.

Die Kleingärten werden zur entspannend erlebten ökologischen Gartenarbeit, zum geselligen Beisammensein und für Ruhe und Naturerlebnis aufgesucht. Der Sinn des Gärtnerns erschließt sich durch Anwenden und Ausüben. Das heute fast nur noch bei Kleingärtnern zu findende praktische und theoretische Wissen der kleinagrarischen Produktion für den Eigenbedarf im urbanen Raum würde ohne diese spezifische Form der Gartenkultur unter Zierrasen und Beton begraben.

Der Kleingarten ist ein Ort, an dem die Gemeinschaftlichkeit der Gärtner an die Stelle großstädtischer Anonymität und Unverbindlichkeit tritt. In jüngerer Zeit ist er sogar ein guter Ort für die Integration von Migranten. Mit dem Vereinsheim, dem Kinderspielplatz und anderen Einrichtungen steht die Kleingartenanlage als ein Ort urbaner Kultur, kultureller Begegnung und des Austauschs verschiedener sozialer Gruppen zur Verfügung. Durch die Vereinsstrukturen findet eine Einbindung der Einzelmitglieder in gemeinschaftliche Tätigkeiten statt. Das ehrenamtliche Engagement ist hier am richtigen Platz.

Betrachtet man die Ansatzpunkte für eine zukunftsfähige Kleingartenkultur, so erstrecken sie sich von der kleingärtnerischen Nutzung über ihre soziale Funktion, vom bürgerschaftlichen Engagement über ihre zunehmende Rolle auch für die Pflege von Kunst und Literatur bis hin zur Einbindung in das öffentliche Grünflächen- und Freiraumsystem der Stadt.

Natürlich gilt auch hier die Mahnung Friedrich Schillers: „Im engen Kreis verengert sich der Sinn, es wächst der Mensch mit seinen größren Zwecken.“ Das Berliner Kleingartenwesen sah und sieht sich nicht als Auffangbecken für Politikverdrossenheit und Individualisierung, sondern gemäß seinen Satzungen als Teil der großen Bestrebungen zur Demokratisierung der Gesellschaft.
Günter Landgraf

1. Vorsitzeder BV-Treptow

Obenstehender Beitrag ist erschienen im Gartenfreund Juli 2009, Seite 7